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Die jüngsten migrationspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung setzen den Trend der schrittweisen Aushöhlung des Asylsystems fort. Eine Analyse anlässlich des Weltflüchtlingstags von Dr. Anne Koch.
Der Bundestagswahlkampf 2025 war dominiert durch die Themen Migration und Flucht. Vor dem Hintergrund wachsender Zustimmungswerte für die AfD begründeten die Unionsparteien die von ihnen angekündigte Migrationswende als notwendigen Schritt, diesen Trend zu stoppen – und die damit einhergehenden asylrechtlichen Verschärfungen als unumgänglich, um das Fundament des Flüchtlingsschutzes zu bewahren. Diese Argumentation verkennt die gravierenden Gefahren, die mit einer schleichenden Aushöhlung des Asylrechts einhergehen.
Der Koalitionsvertrag skizziert die Konturen der von der neuen Bundesregierung angestrebten asylpolitischen Änderungen. Das Kapitel „Migration und Integration“ bekräftigt zunächst rhetorisch das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl, kündigt aber im Folgenden eine Reihe von Vorhaben an, die die Rechte von Schutzsuchenden in der Praxis deutlich beschneiden. Einige zentrale Vorhaben wie die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, die erleichterte Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsstaaten sowie die Zurückweisung auch von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen hat die Bundesregierung direkt nach Amtsantritt durch entsprechende Gesetzesentwürfe und praktische Grenzschutzmaßnahmen in Angriff genommen. Zusätzlich haben sich die Koalitionspartner auf drei weitere zentrale Vorhaben geeinigt. Erstens sollen freiwillige Aufnahmeprogramme (beispielsweise aus Afghanistan) beendet werden – ein politisch wirkmächtiges Signal der Kontrolle und Schließung, das allerdings in absoluten Zahlen nur geringfügig ins Gewicht fallen wird. Zweitens kündigt die Bundesregierung an, die Streichung des so genannten Verbindungselements in der Asylverfahrensverordnung der EU zu unterstützen, um so „Verbringungen“ in sichere Drittstaaten zu ermöglichen. Dies signalisiert eine Offenheit gegenüber der Auslagerung von Asylverfahren und gegebenenfalls des Flüchtlingsschutzes in Drittstaaten, zu denen die jeweils Betroffenen keinerlei Bezug haben. Drittens soll der derzeit im deutschen Asylrecht geltende „Amtsermittlungsgrundsatz“ durch den „Beibringungsgrundsatz“ ersetzt werden, wodurch letztlich die Verantwortung, relevante Aspekte zur Gefährdungslage im Herkunftsland ins Asylverfahren einzubringen, von der Verwaltung und den Gerichten auf das schutzsuchende Individuum verlagert würde.
Dass Regierungswechsel mit asylrechtlichen Änderungen einhergehen, kann als business as usual beschrieben werden. Eine Besonderheit der derzeitigen asylpolitischen Debatte ist die Tatsache, dass sie grundsätzliche Fragen aufwirft, die an den Kern des internationalen Flüchtlingsregimes rühren. Dies betrifft insbesondere drei zentrale Aspekte: den Zugang zu Schutz, die Gewährleistung fairer Asylverfahren und die internationale Verantwortungsteilung.
Zugang zu Schutz: Kritik am bestehenden deutschen und europäischen Asylsystem wird häufig damit begründet, dass es Schutzsuchende zu langen und gefährlichen Reisen zwingt und damit insbesondere vulnerable Gruppen systematisch benachteiligt. Als Gegenentwurf gilt das australische Modell, das primär auf Resettlement setzt und damit größeren Gruppen an Schutzsuchenden legale Zuwanderungswege eröffnet, während spontane Ankünfte kategorisch abgewiesen werden. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Abschaffung humanitärer Aufnahmeprogramme sowie die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, der einen sicheren Zuwanderungsweg unter anderem für Frauen und Kinder aus Krisengebieten darstellt, widerspricht dieser Logik, indem er die schon zuvor spärlichen legalen Zuwanderungswege für Schutzsuchende weiter einschränkt.
Gewährleistung fairer Verfahren: Für ein funktionierendes Asylsystem ist die Wahrung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze von zentraler Bedeutung. Das zunächst technisch anmutende Bestreben der Bundesregierung, den Amtsermittlungsgrundsatz durch den Beibringungsgrundsatz zu ersetzen, birgt gravierende Risiken insbesondere für Asylsuchende aus Ländern, in denen die Gefährdungslage schlecht dokumentiert ist. Die im Verlauf der vergangenen 18 Monate intensiv geführte Debatte um die Auslagerung von Asylverfahren klingt im Koalitionsvertrag mittelbar über die Abschaffung des Verbindungselements in der Asylverfahrensverordnung an und wirft zusätzliche erhebliche Fragen auf hinsichtlich der Qualität von Verfahren und der Verfügbarkeit von Rechtsbeistand und Rechtsmitteln in Drittstaaten.
Internationale Verantwortungsteilung: im Kern zielen die geplanten und in Teilen schon praktizierten asylpolitischen Änderungen darauf ab, die Zahl der in Deutschland gestellten Asylgesuche zu verringern. Hierzu gehört auch ein Kalkül der Abschreckung und die Hoffnung auf eine bis an die EU-Außengrenze wirkende Kettenreaktion, die letztlich zu weniger Asylgesuchen in der gesamten EU führen soll. Dies wiederum steht in einem Spannungsverhältnis zu dem Prinzip der Verantwortungsteilung, das in der Präambel der Genfer Flüchtlingskonvention verankert ist und im Globalen Pakt für Flüchtlinge ausdifferenziert wird. Weiter unterminiert wird dies durch die angekündigte Beendigung humanitärer Aufnahmeprogramme – insbesondere falls dies auch das deutsche Resettlement-Programm, das in Zusammenarbeit mit UNHCR umgesetzt wird, betreffen sollte – sowie die anhaltende Debatte um die Auslagerung von Asylsuchenden, Schutz oder Rückführungsbemühungen in Drittstaaten.
Keine der im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen stellt das Grundrecht auf Asyl in Frage. Gleichzeitig treibt die aktuelle deutsche Politik die schleichende Aushöhlung des Asylsystems voran und widerspricht zumindest in Teilen dem Geist der Genfer Flüchtlingskonvention. Dabei gehen die geplanten Änderungen einher mit einer öffentlich geführten Grundsatzdebatte über die Frage, wie zeitgemäß das derzeit geltende europäische Asylrecht ist und ob es die nationalstaatlichen Handlungsspielräume in unzulässigem Maße einschränkt. Trotz dem im Koalitionsvertrag enthaltenen Bekenntnis zur Umsetzung des EU Asyl- und Migrationspakts wirft dies Fragen auf hinsichtlich der Zukunft des gemeinsamen europäischen Asylsystems und birgt auch in dieser Hinsicht Gefahren für den internationalen Flüchtlingsschutz.
Anne Koch, Politikwissenschaftlerin, ist Mitglied der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik und Leiterin des BMZ-finanzierten Forschungsprojekts „Strategische Flucht- und Migrationspolitik“. Sie arbeitet unter anderem zu den Themen EU Asyl- und Migrationspolitik, Globale Migrationsgovernance, Binnenvertreibung und menschliche Mobilität im Kontext des Klimawandels.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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